Quo Vadis?
Aktuell befinden wir uns im größten Umbruch der Individualmobilität seit der Einführung des Automobils. Alle sprechen vom automobilen Wandel und neuen Mobilitätsangeboten: E-Scooter sind eine Form davon.
Über die zukünftige Rolle der E-Scooter im Hinblick auf die neue Mobilität herrscht Ungewissheit. Es existiert ein gespaltenes Bild – während die einen in ihm den Heilsbringer für die letzte Meile sehen, erkennen die anderen nur einen weiteren gescheiterten Versuch aus dem Bereich der E-Mobilität.
E-Scooter sind für eine Nutzung auf kurzer Strecke gedacht und sollen die erste bzw. die letzte Meile bedienen. Dabei werden typischerweise Strecken zwischen 500 m und 4 km zurückgelegt – ganz ohne Schwitzen und nervige Parkplatzsuche. Die Anbieter verfolgen ein Sharing-Prinzip, bei dem die Scooter gegen eine Gebühr (ab Entsperrung: Zeit und Strecke) via App und mobile Payment ausgeliehen werden können.
Weltweit sind E-Scooter seit 2017 in vielen Städten vertreten. In Deutschland wurden die E-Roller allerdings erst im Juni 2019 zugelassen, haben aber dann über Nacht das Stadtbild verändert.
Die Zielsetzung von E-Scootern klingt zunächst durchweg positiv:
- Verringerung des Verkehrsaufkommens
- Lösung des (Park-)Platzproblems
- Reduzierung der CO2-Emissionen
- Luft- und Lärmverschmutzung minimieren
- Alternative zum Pkw/ Motorrad
- Überwindung der letzten Meile
- Verbindung von Mobilitätshubs
Problematisch ist jedoch, dass E-Roller meist den Fuß- oder Fahrradverkehr ersetzen, anstelle des PKW- oder Motorradverkehrs. Das ist sowohl für die Umwelt als auch die Gesundheit schlecht. Das Umweltbundesamt hat die Umweltfreundlichkeit bewertet und kam zu dem Schluss, dass die Roller in Innenstädten, in denen der ÖPNV gut ausgebaut ist, eher Nachteile für die Umwelt bringen. Zudem machen sie das Fahrradfahren bzw. Zufußgehen unattraktiver.
Ein weiteres, großes Problem ist das Aufladen der Roller. Die sogenannten „Juicer“ fahren viele Kilometer mit Kleintransportern, um die Elektroroller, meist über Nacht, einzusammeln.
Unlängst kam es zum Eklat, als findige Studenten auf eine einträgliche Geschäftsidee kamen: „Juicer“ als Nebenjob. Dabei wurden die Roller über Nacht in den Apartments des Uni-Centers der Universität Köln aufgeladen. Der Clou dabei: Die Studenten zahlen nur eine Nebenkostenpauschale weshalb die sprunghaft gestiegenen Stromkosten beim Studentenwerk für große Aufregung sorgten.
Aktuell verbrennen die Anbieter von E-Scootern eher Geld. Die Lebensdauer der Scooter beträgt aktuell drei Monate, wohingegen ein Break-Even erst bei einer Lebensdauer von ca. vier Monaten erreicht wird. Hierbei sind jedoch noch keine Marketing- oder Overhead-Kosten berücksichtigt.
Wenn man sich die Kostenseite der Roller ansieht, können diese in vier Blöcken zusammengefasst werden:
- Kosten für die Zahlungsabwicklung
- Steuern und Versicherung
- Wartung und Reparatur
- Betrieb und Laden
Es fällt dabei auf, dass die höchsten Kosten durch das Laden verursacht werden.
„Juicer“ müssen die Roller aufwändig einsammeln, über Nacht an die Steckose hängen und wieder ausliefern. Um die Kosten zu senken, werden auch sogenannte Crowd-Charging-Modelle getestet, bei denen Nutzer den Scooter mit nach Hause nehmen können, um ihn dort aufzuladen.
Natürlich versuchen die Anbieter weitere Verbesserungen der Hardware zu erreichen, um die Kosten entsprechend zu senken. Einige Anbieter versuchen eigene Hardware zu entwickeln, die eine längere Lebensdauer aufweist. Zudem planen die Anbieter auch Tauschakkus einzusetzen.
Nachfolgend eine kurze Übersicht der größten E-Scooter Anbieter:
Lime
Allgemeine Fakten | Bediente Märkte | Alleinstellungs- merkmale |
Gegründet 2017 in San Mateo, Kalifornien (USA) | USA, Kanada, Mexiko, Australien, Neuseeland, Singapur sowie neun europäische Länder | Unterstützung durch Google Maps |
Ca. 700 Mitarbeiter (vor Corona) | 15 deutsche Städte | Aufladen aus erneuerbaren Energien |
467 Mio. Dollar Investitionen | ||
25.000 Scooter deutschlandweit | ||
1.065.000 Downloads im deutschen Google Play Store von Mai 2018 – Mai 2020 |
Tier
Allgemeine Fakten | Bediente Märkte | Alleinstellungs- merkmale |
Gegründet 2018 in Berlin, Deutschland | 57 Städte in 11 Ländern | Innovationen wie faltbare Helm- und Transportbox |
Ca. 470 Mitarbeiter (vor Corona) | 39 deutsche Städte | Austauschbare Akkus in Planung |
31 Mio. Dollar Investitionen | Klimaneutral arbeiten ab 2020 | |
18.000 Scooter deutschlandweit, 40.000 weltweit |
voi
Allgemeine Fakten | Bediente Märkte | Alleinstellungs- merkmale |
Gegründet 2018 in Schweden | in den deutschen Städten: Aachen, Augsburg, Berlin, Bremen, Düsseldorf, Erfurt, Hamburg, Ingolstadt, Karlsruhe, Lübeck, München, Nürnberg, Potsdam und Stuttgart | Austauschbare Batterie |
Ca. 500+ Mitarbeiter (vor Corona) | 8 weitere, europäische Länder | Display, das Parkzonen anzeigt |
53 Mio. Dollar Investitionen | ||
Mehrere Hundert Scooter pro Stadt |
BIRD
Allgemeine Fakten | Bediente Märkte | Alleinstellungs- merkmal |
Gegründet 2018 in Santa Monica, Kalifornien (USA) | Nordamerika, Europa, mittlerer Osten | Längere Haltbarkeit der Scooter |
Ca. 1.300 Mitarbeiter (vor Corona) | 22 europäische und 5 deutsche Städte | Hohe Reichweite dank starker Batterie |
415 Mio. Dollar Investitionen | 81 Städte weltweit | |
>100.000 Scooter weltweit | ||
103.600 Downloads im deutschen Google Play Store von Mai 2018 – Mai 2020 |
circ
Allgemeine Fakten | Bediente Märkte | Alleinstellungs- merkmale |
Gegründet 2018 in Berlin, Deutschland | Berlin, Köln, Hamburg, Frankfurt, München | Planung von 4-Räder Mikromobilen für 2 Personen |
Ca. 100 Mitarbeiter (vor Corona) | Österreich, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien, Dänemark, Portugal und die Schweiz | Austauschbare Akkus in Planung |
55+ Mio. Dollar Investitionen | Europäische Expansionspläne | |
20.000+ Scooter europaweit | ||
Tochterunternehmen von Bird |
Zu Problemen führt die geringe Differenzierung der Anbieter. Konsumenten entscheiden sich in der Regel einfach für den Scooter, der als nächstes verfügbar ist. Fraglich ist, ob die Anbietervielfalt in Zukunft weiterhin bestehen bleibt. Anbieter werden um einzelne Städte kämpfen. Dafür müssen sie eine hohe Verfügbarkeit gewährleisten und einen größeren Operationsradius anbieten. Dies wird jedoch seinen Preis haben: niedrigere Auslastung pro E-Roller und damit höhere Kosten.
Sehr wahrscheinlich konsolidiert sich der Markt am Ende und es werden nur wenige große Anbieter überleben. Fraglich bleibt, ob es regionale Anbieter schaffen können, großen Unternehmen in einzelnen Städten Paroli zu bieten.
Die Anbieter von E-Scootern müssen weiter an ihrem Geschäftsmodell arbeiten, um langfristig zu überleben. Dazu sind folgende Schritte nötig:
- weitere Effizienzsteigerungen im Betrieb der E-Scooter-Flotte
- Ausbau der Haltbarkeit der Roller und somit Sicherstellung einer längerfristigen Nutzungsdauer pro E-Scooter
- Verfolgung einer aggressiven Wachstumsstrategie, um zu überleben
- Finanzierung des Geschäftsmodells sicherstellen
Ob E-Roller weiterhin das Stadtbild im aktuellen Ausmaß prägen, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass die Roller eine wichtige Rolle in der städtischen Fortbewegung spielen können.