Patricia, was fasziniert dich an dem Thema Organisationale Energie?
„Ich bin durch den Impuls meiner ehemaligen Führungskraft auf dieses Thema gestoßen. Das war für mich Augen öffnend. So als ob ich vorher viele kleine Puzzleteile in der Hand gehabt hätte und mit einem Mal erkannt habe, wie sie alle zusammenpassen. Gerade in einer Zeit, in der alles immer höher, weiter, schneller gehen muss und gleichzeitig immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, finde ich den menschenzentrierten Ansatz besonders wichtig. Ich habe in den letzten Jahren selbst erfahren dürfen, wie erfolgreich ein Projekt werden kann, wenn alle die gleiche Vision haben, alle am gleichen Strang ziehen und wenn jedem die Chance gegeben wird, das Projekt mitzugestalten. Denn das sind die drei zentralen Energiequellen: Sinn, Zuversicht und Einfluss.“
Von der Organisationalen Energie scheint der Erfolg eines Unternehmens stark abzuhängen. Warum hat man bisher noch so wenig davon gehört?
„Die beiden Wissenschaftler Heike Bruch und Bernd Vogel definieren die Organisationale Energie als Kraft, mit der Unternehmen arbeiten und Dinge bewegen. Sie zeigt sich in der Intensität und Geschwindigkeit von Arbeits-, Veränderungs- und Innovationsprozessen in einem Unternehmen. Empirische Studien zeigen, dass mit einem höheren, positiven Energielevel die Produktivität steigt und die Fähigkeit zunimmt, mit Veränderungen umzugehen und Innovationen voranzutreiben. Diese Faktoren spielen unmittelbar auf den Unternehmenserfolg ein. Das hat man erstmals vor etwa 20 Jahren erkannt und belegt.
Aber erst in den letzten Jahren hat man die Notwendigkeit erkannt, sich mehr mit diesen weichen Faktoren zu beschäftigen. Die Digitalisierung, die Pandemie, die neuen Generationen mit anderen Ansprüchen und New Work sensibilisieren immer mehr Unternehmer für dieses Thema. Wir erleben gerade große Umbrüche in der Arbeitswelt. Darum sind neue Leadership-Modelle gefragt, weil man jetzt mit den alten nicht mehr weiterkommt.“
Du hast dich für deine Masterarbeit nicht nur theoretisch mit dem Thema der Organisationalen Energie beschäftigt, sondern auch praktische Studien betrieben. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?
„Ich hatte das Glück, die Organisationale Energie in einem Bereich eines global agierenden Industrieunternehmens beobachten und erforschen zu dürfen. Zunächst habe ich anhand eines Fragebogens den Energiezustand der Mitarbeiterschaft gemessen und herausgefiltert, wo Handlungsbedarf bestehen könnte. Auf Basis der vielen vorhandenen Ideen der Mitarbeitenden habe ich dann gemeinsam mit dem Führungsteam Maßnahmen angeregt und begleitet. Unser Ziel war es einerseits die negativ gerichteten Energielevel zu reduzieren und andererseits die positiven zu stärken. Beispielsweise haben wir die Erreichbarkeit der Führungskräfte verbessert. Das war ein großer Kritikpunkt der Teams. Außerdem haben wir konkrete und für alle gültige Meetingsregeln eingeführt. Jeder ist nun selbst verantwortlich dafür, ob er an einem Termin teilnehmen möchte und sollte oder ob die Person gute Gründe hat fernzubleiben. Es gab auch noch weitere Maßnahmen, die alle positiv aufgenommen wurden. Manche waren für den gesamten Bereich, andere wiederrum sehr teamspezifisch.
Nach drei Monaten habe ich erneut die Energielevel gemessen. Und siehe da: Es hat sich in einigen Bereichen wirklich etwas verbessert. Das spricht für das Konzept der Organisationalen Energie.“
Welche Bedeutung kommt den Führungskräften dabei zu?
„Moderne Führungskräfte sollten sich zunehmend als Energiemanager verstehen. Von ihnen hängt die Organisationale Energie maßgeblich ab. Sie müssen erkennen, was die Energie in ihrem Team fördert und wodurch sie verbraucht wird. Dementsprechend können sie Rahmenbedingungen dafür schaffen. Gerade in Change-Projekten ist dieser Ansatz oft ausschlaggebend für das Gelingen. Wie ich bereits am Anfang erwähnt habe, sind die wichtigsten Energiequellen Sinn, Zuversicht und Einfluss. Es liegt an den Führungskräften, wie stark diese Werte gelebt und gefördert werden.“
Was hat es mit den Energiefallen auf sich?
„Wir unterscheiden zwischen der Beschleunigungs-, der Trägheits- und der Korrosionsfalle. Hier wird Energie entweder blockiert oder fehlgeleitet.
Die Trägsheitsfalle beobachten wir zum Beispiel nach zu vielen und meist erfolglosen Veränderungen in kurzer Zeit. Die Mitarbeitenden sind resigniert, mutlos und unmotiviert. Sie fragen sich, wofür das alles gut sein soll. Es gibt verschiedene Strategien, um die Leute aus der Trägheit herauszuholen und neue Energie zu mobilisieren. Zugleich kann dies der Fall sein, wenn Unternehmen lange Zeit sehr erfolgreich sind und die Mitarbeitenden wirklich zufrieden mit dem Status quo. Der Mensch ist und bleibt halt ein Gewohnheitstier.
In die Beschleunigungsfalle tappen immer mehr Leute, deren Arbeitspensum immer höher wird. Sie haben nicht 100 Prozent Auslastung, sondern 120 oder 150 Prozent, und keine Erholungsphasen. Das führt zu einer permanenten Überforderung, während das Energielevel kontinuierlich sinkt. Der Versuch die vielen Bälle in der Luft zu behalten, verbraucht Unmengen an Energie und reduziert zugleich in erheblichem Ausmaß die Leistungsfähigkeit.
Und dann gibt es noch die Korrosionsfalle, welche ich als sehr gefährlich erachte. Die Intensität der Energie ist zwar sehr hoch, allerdings ist diese negativ ausgerichtet. Sie äußert sich in Sabotage, internen Machtkämpfen und massiven Blockaden gegen Neuerungen oder Veränderungen. Hier fehlt die gemeinsame Vision. Das Gemeinschaftsgefühl sollte unbedingt verstärkt werden.“
Mit welchem Angebot kann Consileon dabei helfen, die positive, produktive Energie in einem Unternehmen zu fördern?
„Unsere Consultants vom Business-Transformation-Kompetenzcenter begleiten viele Change-Projekte. Wir können Führungskräfte ermutigen und befähigen, sich mit der Organisationalen Energie auseinanderzusetzen und ihre Aufgaben als Energiemanager zu begreifen. Niemand kann erwarten, dass Führungskräfte alles wissen, alles können und alles richtig machen. Darum sind Coachings und Workshops immer der erste Schritt, um ein neues Mindset, neue Führungsmethoden und Perspektiven vorzustellen.
Außerdem können wir bei Bedarf das Energielevel der Belegschaft messen, Energiefallen identifizieren und entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung formulieren und unterstützen. Ich bin überzeugt davon, dass die Organisationale Energie in Zukunft einen viel größeren Stellenwert erhalten wird, sobald man erkannt hat, dass Produktivität, Motivation und Unternehmenserfolg nicht von Tischtennisplatten oder Obstkörben am Arbeitsplatz abhängen.“
Vielen Dank für das spannende Gespräch, Patricia Unger!